Ernst Jung-Preis für Medizin 2014: Preisträger Prof. Thomas Boehm

Auf Gen-Ebene forschen, weil man den ganzen Menschen im Blick hat – auf diese ungewöhnliche Formel lässt sich bringen, was für den diesjährigen Empfänger des Ernst Jung-Preises für Medizin im Mittelpunkt seiner erfolgreichen Arbeit steht. „Aus der unmittelbaren Begegnung mit schwer, oft unheilbar kranken Patienten ist mein Wunsch entstanden, mich in der Grundlagenforschung mit drängenden, aber ungelösten medizinischen Problemen auseinanderzusetzen“, erläutert Professor Thomas Boehm.

Seine medizinische Karriere begann mit einem Studium der Humanmedizin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, ergänzt durch Studienaufenthalte an der Columbia University in New York und am Royal Marsden Hospital in London. 1982 promovierte Professor Boehm in Frankfurt, wo er sich im Jahr 1988 auch habilitierte. Einer vierjährigen Tätigkeit am MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge folgten eine C3-Professur für Medizinische Molekularbiologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und eine C4-Professur für Experimentelle Therapie am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. Seit Januar 1998 ist Professor Boehm Direktor des Arbeitsbereichs Entwicklung des Immunsystems am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät der dortigen Universität.

Den Ausgleich zur Forschung auf Weltniveau findet der Familienvater  in künstlerischen und praktischen Aktivitäten: Er liebt Musik und handwerkliche Arbeiten, besonders das Schreinern. Und auch hier dürfte sein Tun sicherlich das bestimmen, was er als wichtigste Herausforderung an das ärztliche Handeln beschreibt: „menschliche Wärme mit fachlicher Meisterschaft zu verbinden“.

 

Gesund werden heißt: sich wehren zu können

Denken wir uns eine mittelalterliche Stadt. Kommt ein Bürger, bleiben die Tore geöffnet. Zeigt sich ein Unbekannter, senkt der Wächter den Schlagbaum und prüft, wer vor den Tore steht. Drängen Feinde heran, geht die Zugbrücke hoch, und es hagelt Pfeile vom Burgwall: Jede gut funktionierende Abwehr beruht auf der Fähigkeit, eigene von fremden Erscheinungen zu unterscheiden und Gegner zu bekämpfen. Das ist – freilich deutlich komplexer – auch bei der körpereigenen Immunabwehr so.

Um die überlebenswichtigen Verteidigungsfähigkeiten zu entwickeln, betreibt unser Körper ein Zentrum, wo Kampfkräfte und „Wächter“, Killer- und Helferzellen, zu Spezialisten für ihre Aufgaben herangebildet werden: den Thymus. Die Arbeit des Zentrums passt sich dabei ständig dem Bedarf an, den Gegnermerkmalen, die sich ständig wandeln, um die Verteidigung zu täuschen. Man kann sich vorstellen, wie gefährlich es wird, wenn die Leistung dieses Zentrums gestört ist oder sogar ausfällt! Dann sind unzureichend qualifizierte Verteidigungskräfte unterwegs, die Freund und Feind nicht zuverlässig erkennen und auseinander halten können. Angriffe richten sich irrtümlich gegen eigene Strukturen – Autoimmunerkrankungen entstehen. Oder aber Widersacher bleiben unerkannt und ungeschoren – Immunschwäche­erkrankungen sind die Folge.

Um solche Prozesse aufzuhalten und Heilungsmöglichkeiten für daraus resultierende Erkrankungen zu eröffnen, widmet sich Professor Boehm seit Jahren intensiv der Thymusforschung und hat hier bereits wegweisende Fortschritte erzielt. So konnten dank vergleichender Untersuchungen mit vielen verschiedenen Tierarten wesentliche Eigenschaften der Immunsysteme aller Wirbeltiere identifiziert werden, die Struktur und Design eines anpassungs­fähigen Immunsystems besser verstehbar machen. Weitere Forschungen klärten die bislang unverstandenen Steuerungsmechanismen auf, die Reifung und Differenzierung der Immunzellen bewirken. Es folgten erfolgreiche Experimente mit der Herstellung künstlicher Thymusdrüsen. Langfristig erhoffen sich Professor Boehm und seine Mitarbeiter, Patienten dazu verhelfen zu können, dass sich ihr Immunsystem wieder „so richtig wehren kann“. Erste bahnbrechende Schritte dazu sind getan.