Molekulare Mechanismen entschlüsseln und für Therapien nutzen Ernst Jung-Preis für Medizin 2019 geht an Professor Brenda A. Schulman und Professor Gary R. Lewin

Hamburg, 23. Mai 2019. Der Ernst Jung-Preis für Medizin der Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung geht in diesem Jahr an zwei herausragende Forscherpersönlichkeiten. Die Martinsrieder Biochemikerin Professor Dr. Brenda A. Schulman erhält die Auszeichnung in Würdigung und zur Fortsetzung ihrer wegweisenden Arbeiten über die Mechanismen des Ubiquitin-Transfers auf atomarer Ebene. Der Berliner Neurobiologe Professor Dr. Gary R. Lewin wird für seine bahnbrechenden Forschungsarbeiten über die molekularen und physiologischen Grundlagen des Tastsinns und der Schmerzempfindung gewürdigt. Beide Wissenschaftler leisten mit ihrer Forschung wichtige Beiträge zum aktuellen Wissensstand in ihrem jeweiligen Fachgebiet. Sie teilen sich die Preissumme in Höhe von 300.000 Euro jeweils zur Hälfte.

 

Einem „ubiquitären“ Molekül auf der Spur

Das Molekül Ubiquitin dient als intrazelluläres Stop-Signal und kontrolliert, was in einer lebenden Zelle vor sich geht – ebenso wie Stop-Zeichen den Verkehr auf der Straße regeln. Die Bezeichnung „Ubiquitin“ resultiert daraus, dass die Moleküle „ubiquitär“, also „überall verbreitet“ in allen eukaryotischen Zellen vorkommen und dort eine Vielzahl unterschiedlicher biochemischer Reaktionen steuern, von der Zellteilung bis hin zur Abwehr bakterieller Infektionen. Zu jedem Zeitpunkt sind in jeder menschlichen Zelle Tausende Ubiquitin-Moleküle im Einsatz, die sich dazu an unterschiedliche spezifische Orte setzen müssen. Ist ihre Regulation gestört, kann dies zu Krankheiten führen, wie Krebs, neurodegenerative Erkrankungen oder hohem Blutdruck. Ubiquitin ist ein extrem kleines Molekül und kann nur unter extremer Vergrößerung im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden. Professor Dr. Brenda A. Schulman, Direktorin des Department of Molecular Machines and Signaling am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, hat gemeinsam mit ihren Kollegen zahlreiche Methoden entwickelt, mit denen sich das Ubiquitin-System darüber hinaus untersuchen lässt. Dabei bedienen sie sich Ansätzen aus Chemie, Zellbiologie, Massenspektrometrie, Biochemie und Strukturbiologie. „Ich habe das Gefühl, dass ich mehr als 20 Jahre lang auf Schatzsuche war und jetzt endlich zum ersten Mal die Schatztruhe aus der Ferne erkennen kann“, schwärmt Brenda A. Schulman. „Wir beginnen jetzt erst, dank der neuen Methoden, die allerersten wundervollen Schätze zu sehen. Und da Ubiquitin so allgegenwärtig ist, gibt es eine ganze Fundgrube an Schätzen zu entdecken. Das ist enorm aufregend!“ Die 51-jährige Forscherin stammt aus Tucson, Arizona. Bereits in ihrem dritten Highschool-Jahr entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Chemie und Biologie und dafür, wie Moleküle erstaunliche Prozesse vollziehen. Neben ihrer Forschung geht sie regelmäßig Laufen und genießt die freie Zeit mit ihrem Ehemann.

 

Die Reizweiterleitung im Tastsinn verstehen

Über die Haut können wir Berührungen, Druck, Wärme, Kälte oder Schmerz wahrnehmen. Dies geschieht über Sinneszellen und freie Nervenendigungen, die in der Hautoberfläche sitzen und für den Tastsinn sowie Temperatur- und Schmerzsinn verantwortlich sind. Professor Dr. Gary R. Lewin, Arbeitsgruppenleiter und Koordinator des Fachbereichs Erkrankungen des Nervensystems am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, erforscht mit seinem Team, wie mechanische und thermische Reize von den Sinneszellen aufgenommen und in elektrische Signale transduziert werden. Hierzu untersucht die Arbeitsgruppe Nacktmulle, die aufgrund ihrer besonderen physiologischen Eigenschaften als Modellorganismus dienen. Nacktmulle besitzen kein Fell und sind sehr berührungsempfindlich. Aufgrund ihrer Blindheit besitzen die Nagetiere einen besonders stark ausgeprägten Tastsinn, den sie zur sozialen Interaktion nutzen. Lewin konnte zeigen, dass dieser Spezies gewisse Arten der Schmerzwahrnehmung fehlen. Die Ursachen hierfür sowie die zugrundeliegenden Mechanismen weiter zu erforschen könnte dabei behilflich sein, neue Therapien und Mittel gegen Schmerz zu entwickeln.  „Meine Begeisterung für die Forschung entstand während meiner Doktorarbeit, als ich die Erfahrung machte, Vorgänge zu messen, die zuvor noch nie jemand gemessen hatte“, schildert Lewin. „Wenn man realisiert, dass man etwas Bedeutendes entdeckt hat, geht es nie nur um ein einzelnes Ergebnis, sondern um viele kleine Fragmente – Experimente, Informationen –, die sich plötzlich wie ein Puzzle zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich.“  Gary R. Lewin ist Manx – auf der Isle of Man geboren – und in Douglas aufgewachsen. Der 54-jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und liebt es, mit seiner Familie zu reisen. Zudem absolviert er aktuell seinen Segelfliegerschein.